Ziel des Projekts „Lernender Forschungszusammenhang“ (LeFo) war es, neue Wege des Transfers wissenschaftlichen Wissens in die Praxis und für die betriebliche Umsetzung zu entwickeln. Dazu wurde ein Arbeitsmodell entwickelt, das sowohl von Wissenschaftlern als auch von betrieblichen Organisationsentwicklern und Beratern umgesetzt werden kann. Wissenschaftliches Wissen, wie es üblicherweise an Universitäten oder Instituten entwickelt wird, lässt sich kaum 1:1 in die betriebliche Praxis übertragen, weil die Problemstellungen der betrieblichen Praxis differenziert und sehr komplex sind. Für den Transfer neuer Grundlagentechnologien sind deshalb seit langem Forschungs- und Transferstrategien verfügbar, die wissenschaftliche Grundlagenforschung im Rahmen besonderer Verfahren in branchen- und betriebsspezifische Lösungen transformieren. Das Projekt LeFo hat sich Vergleichbares für die Arbeitsforschung zum Ziel gesetzt.
Beispiele: Wissenschaftliches Wissen zur Projektsteuerung oder zu Fragen der Arbeitsgestaltung wie z.B. Gruppenarbeit, zu ergebnisorientierten Steuerungsverfahren oder zum Führungshandeln mündet üblicherweise von wissenschaftlicher Seite aus in Modellempfehlungen für die Praktiker: Gruppenarbeitsmodelle, Organisationsmodelle zur Ergebnissteuerung oder Projektmanagementmodelle. Die praktische Umsetzung dieser Modelle stößt im Betrieb in zweifacher Hinsicht an Grenzen: Erstens sind es Modelle und als solche passen sie nicht deckungsgleich auf die konkrete betriebliche Praxis. Zwischen Modell und Realität klafft meist ein erheblicher Graben. Zweitens werden diese Modelle den Praktikern in Trainings oder betrieblichen Beratungsprozessen zur Aneignung empfohlen, ohne die individuell besonderen Problemlagen und Lerninteressen der betrieblichen Akteure zu berücksichtigen: „Bei uns im Betrieb sieht das aber etwas anders aus!“ ist eine typische Reaktion der Teilnehmer in Trainings auf solche Modellangebote. Ein Hinweis, dass die Modelle wenig passgenau sind für die betriebliche Situation und die persönliche Aufgabenstellung.
Das Projekt LeFo hatte sich zum Ziel gesetzt, das verfügbare arbeitswissenschaftliche Wissen so zu bündeln, dass eine hohe Passgenauigkeit für betriebliche Problemstellungen und betriebliche Akteure entsteht (darüber hinaus wird im Rahmen des interdisziplinären Forschungsverfahrens entlang von Problemstellungen der Praxis neues wissenschaftliches Wissen produziert. Darauf wird an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen. Vgl. dazu Ludwig, J. (Hrsg.): Lernender Forschungszusammenhang. Bielefeld 2005)). Arbeitswissenschaftliches Wissen soll in transferorientierter Weise der betrieblichen Praxis verfügbar gemacht werden. Dies war ein zentrales Ziel von LeFo, das in fünf Unternehmen mit unterschiedlichen Modernisierungsaufgaben verfolgt wurde.
LeFo hat dazu ein Arbeitsmodell entwickelt, dass sowohl von Wissenschaftlern als auch von Organisationsentwicklern und Beratern in Betrieben verwendet werden kann. Das Arbeitsmodell umfasst erstens eine Problemdefinitionswerkstatt, zweitens eine Interpretationswerkstatt und drittens eine Beratungswerkstatt.
In der Problemdefinitionswerkstatt bildet eine Handlungsproblematik des Betriebs den Ausgangspunkt für das Arbeitsmodell. Dies können z.B. Schwierigkeiten bei der Umsetzung eines neuen ergebnisgesteuerten Organisationsmodells oder eines neuen Arbeitszeitmodells sein. Probleme bei der Umsetzung von Gruppenarbeit sind genau so bearbeitbar wie Handlungsprobleme von Führungskräften im Kontext neuer betrieblicher Steuerungsmodelle. Im Rahmen der Problemdefinitionswerkstatt werden – in Folge einer Beauftragung durch das betriebliche Management oder die Interessenvertretung – Daten erhoben und zentrale betriebliche Akteure identifiziert, die im Zentrum des Modernisierungsprojekts stehen. Erhoben werden also die konkrete Problemlage des Betriebs und die typischen Handlungsproblematiken und Interessen der zentralen Akteure. Die Problemsichten der Beteiligten – des Managements, der Fachabteilungen und der betroffenen Beschäftigten – unterscheiden sich dabei oft erheblich: oberes und mittleres Management sowie die Beschäftigten sind auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Problemlagen konfrontiert, die von den Betroffenen selbst nur unzureichend analysiert werden können. Dieses Zusammenspiel der verschiedenen Akteure auf Basis der betrieblichen Modernisierungsanforderungen steht im Mittelpunkt der Problemdefinitionswerkstatt. Dadurch soll die konkrete betriebliche Situation möglichst differenziert und in ihrer Komplexität abgebildet werden. Das Arbeitsmodell LeFo liefert für die betriebliche Situation den „fremden Blick“. Bei der Präsentation der Analyseergebnisse in den fünf Unternehmen fiel immer wieder ein typischer Satz aus den Reihen der betrieblichen Akteure: „Was Sie hier schildern erleben wir jeden Tag. Von uns hat es aber noch niemand so auf den Punkt bringen können“. Dieser Satz verweist auf die Bedeutung des fremden wissenschaftlichen Blicks, der sich der betrieblichen Situation annimmt, ohne mit ihr Eins zu werden.
Das Arbeitsmodell LeFo nutzt – ganz im Unterschied zu sonst üblichen Beratungsprozessen -die Distanz zu den betrieblichen Problemstellungen und führt das Datenmaterial nach der Problemdefinitionswerkstatt zunächst in eine Interpretationswerkstatt über. Dort wird es aus verschiedenen Perspektiven ohne Handlungsdruck interpretiert. Im Projekt LeFo waren dies wissenschaftliche Perspektiven: Soziologische, pädagogische, betriebswirtschaftliche, organisationspsychologische, genderorientierte und rechtliche Perspektiven auf die betriebliche Situation. Wird das Arbeitsmodell nicht als wissenschaftliches Forschungsverfahren durchgeführt, sondern als betriebsinternes Gestaltungsverfahren, können dies die Perspektiven verschiedener Fachabteilungen und Betroffener sein. Für die Interpretationswerkstatt wurde ein besonderes Setting entwickelt, in dem die unterschiedlichen Perspektiven sich wechselseitig bereichern können ohne in Streit über die „richtige“ Perspektive zu geraten, welche die Problemsituation des Betriebs allein erklären soll.
Das Ergebnis der Interpretationswerkstatt sind verschiedene Erklärungsangebote für die betriebliche Situation, die regelmäßig nur gering konkurrieren, sich aber überwiegend ergänzen. Die Distanz zur betrieblichen Situation und ihren eigenen Handlungszwängen eröffnet den Raum, um unterschiedliche Sichten entwickeln und deren Vergleich vornehmen zu können. Die vielperspektivischen Sichten ermöglichen die Komplexität der betrieblichen Situation differenziert in den Blick zu nehmen. Sie fördern in ihrer Verknüpfung mehr Erkenntnisse „zu Tage“ als es einzelne Wissenschaftler oder Berater im Betrieb vermögen. Für den einzelnen Betrieb bzw. das einzelne Unternehmen wird so ein „betriebsspezifisches besonderes Wissen“ produziert, das Typisches der betrieblichen Handlungsproblematik aus unterschiedlicher Sicht und auf unterschiedlichen Dimensionen aufzeigt. Neue Handlungswege sind damit noch nicht eröffnet.
Die Entwicklung neuer Handlungsoptionen für die betriebliche Handlungsproblematik ist Aufgabe der Beratungswerkstatt. Nach der Vorstellung der Interpretationsergebnisse im betrieblichen Projektsteuerungskreis, dem die verschiedenen betrieblichen Akteurs- und Interessensgruppen angehören, werden die Teilnehmer für die Beratungswerkstatt festgelegt. Die Formen der Beratungswerkstatt sind vielfältig: Sie kann für den Kreis der zentralen Akteure individuelle Beratungsgespräche genauso umfassen wie mehrtägige Weiterbildungsveranstaltungen mit 12 bis 15 Personen. Die besondere Beratungsdidaktik zeichnet sich dadurch aus, dass das in der Interpretationswerkstatt erarbeitete „besondere Wissen“ nicht einfach „vermittelt“ wird, sondern zunächst den Beratern als Erklärungsangebot zur Verfügung steht. Ausgangspunkt für die Reflexionen in der Beratungswerkstatt ist nicht dieses „besondere Wissen“, sondern es sind wiederum die konkreten Handlungsproblematiken der teilnehmenden betrieblichen Akteure. Schließlich gibt es immer noch eine Lücke zwischen den für den Betrieb typischen Erklärungsangeboten wie sie in der Interpretationswerkstatt erarbeitet wurden und den Problemlagen der an der Beratungswerkstatt teilnehmenden betrieblichen Akteure. Die Teilnehmer der Beratungswerkstatt erzählen ihre persönliche Handlungsproblematik im betrieblichen Modernisierungsprojekt und es ist die Aufgabe der Berater zu verstehen und zu prüfen, inwieweit das „besondere Wissen“ der Interpretationswerkstatt einschließlich weiterem Beratungswissen für den Beratungsprozess hilfreich ist. Die Erfahrung der durchgeführten Beratungswerkstätten zeigt, dass das „besondere Wissen“ der Interpretationswerkstatt in hohem Maße für die Teilnehmer relevant war. Dies ist nahe liegend, da die Angebote der Interpretationswerkstatt betriebsspezifisch entwickelt wurden. Ziel der Beratungswerkstatt ist aber darüber hinaus eine Erweiterung und Transformation der bisherigen Sichtweisen der einzelnen Beratungswerkstattteilnehmer. Die einzelnen Fallerzählungen der Teilnehmer sind erst dann erfolgreich beraten, wenn sich ihre individuelle Sicht auf die betriebliche Problemsituation erweitert hat und daraus neue Handlungsoptionen für die individuell und betrieblich relevanten Situationen entstanden sind. Die Analysekompetenz der betrieblichen Akteure für ihre individuelle Situation im Modernisierungsprojekt wird so erweitert und mündet in neue praktische Handlungsoptionen (vgl. dazu auch die drei Kurzdarstellungen von Beratungswerkstätten in dieser Broschüre).
Verfügbares wissenschaftliches Wissen wird in dem Arbeitsmodell LeFo auf der betrieblichen Ebene (Interpretationswerkstatt) und auf der individuellen Ebene (Beratungswerkstatt) transformiert und für die Akteure zugänglich gemacht. Arbeitswissenschaft verlagert im Arbeitsmodell LeFo das Transferproblem wissenschaftlichen Wissens nicht auf die Praktiker, sondern greift es als eigene wissenschaftliche Aufgabe selbst auf. Dies löst noch keine bestehenden Interessensdivergenzen unter den betrieblichen Akteuren, es erweitert aber den Blick und verschafft ihnen Optionen neue gangbare Wege zu gehen. Dem Zusammenspiel der verschiedenen Akteursgruppen (Management, Fachabteilungen und Beschäftigte) sind damit neue Wege eröffnet. Welche Optionen und Interessen sich betriebspolitisch durchsetzen werden kann nur bedingt Aufgabe der Wissenschaft sein.